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Arbeitstreffen der Kinder- und Jugendtheater in Baden-Württemberg – Trends und Themen
Juni 2019 / von Manfred Jahnke

Zwölf Tage liegen zwischen dem Ende von „Augenblickmal!“, dem „Festival des Theaters für junges Publikum“ in Berlin und dem Arbeitstreffen der baden-württembergischen Kinder- und Jugendtheater während des 24. Baden-Württembergischen Theatertreffens in Baden-Baden. Für Berlin wählt ein fünfköpfiges Kuratorium jeweils fünf „interessante“ Inszenierungen für Kinder, bzw. Jugendliche aus. Dabei ist deren Aufgabe weniger, im „Mainstream“ herum zu stochern, sondern neue spannende Entwicklungen heraus zu filtern, die es zu promoten gilt. Von der Konzeption her ist durchaus gewollt, kulturpolitische Impulse zu setzen, zumal sich hier nationale und internationale Theatermacher, Studenten, kurz: ein interessiertes Fachpublikum trifft. Entsprechend sind die Begleitveranstaltungen ausgerichtet, die die vom Kuratorium gesetzten Schwerpunkte vertiefen und handhabbar machen wollen.

„Augenblickmal!“ ist ein Festival, eine Schau, die künftige Themen zu besetzen versucht, wie in der Vergangenheit das Theater für die Allerkleinsten oder den Stellenwert der kulturellen Bildung für die Szene. Die Begegnung baden-württembergischer Kinder- und Jugendtheater hingegen ist ein Arbeitstreffen. Seit 1981 findet es gemeinsam mit dem alle zwei Jahre durchgeführten „Baden-Württembergischen Theatertagen“ an wechselnden Orten statt, in den Zwischenjahren ist es Teil des internationalen Festivals „Schöne Aussicht“ in Stuttgart. Eine Jury fährt dann durch Baden-Württemberg, um eine Auswahl zu treffen. Denn längst ist die Szene im Ländle zwar nicht unüberschaubar geworden, aber seitdem sich der Ausrichter, der Arbeitskreis baden-württembergischer Kinder- und Jugendtheater (künftig: AK), sich auch der freien Szene geöffnet hat, hat sich die Anzahl der Mitglieder auf 16 erhöht (es begann einmal mit 6), plus einem Nicht-Vollmitglied. Selbst bei einem normalen Treffen können nicht mehr wie in der Vergangenheit alle Ensembles ihre Aufführungen zeigen. Aber hierfür gibt es keine Jury, sondern ein rollierendes System: Die Gruppen, die beim letzten Treffen vor zwei Jahren in Ulm mit einer Aufführung dabei waren, hatten für eine Teilnahme in Baden-Baden nur die Chance über ein Verlosungsverfahren. Da hatten das Junge Nationaltheater Mannheim, das Junge Staatstheater Karlsruhe oder das Theater im Marienbad kein Losglück…

Zum Konzept dieses Arbeitstreffens gehört seit Anbeginn, dass alle Ensembles für die Zeit des Treffens vor Ort sind, um gemeinsam die Aufführungen zu besuchen und zu diskutieren, sich in Workshops gegenseitig kennen zu lernen und zugleich fortzubilden, sowie in Berufsgruppen (Schauspieler, Dramaturgen, Theaterpädagogen, Regieassistenten) sich auszutauschen. In Stuttgart werden die internationalen Kinder- und Jugendtheaterinszenierungen, bei den BaWü-Treffen die Stücke aus den Abendspielplänen angesehen und in den Diskurs einbezogen. Dies Konzept hat sich in der Vergangenheit bewährt, wenn auch stets mit neuen Diskursformen experimentiert wurde. Wie diese basisdemokratische Strategie sich in Zukunft entwickelt, da nicht alle Gruppen vollzählig dabei sein können, dürfte eine spannende Frage werden. In Baden-Baden jedenfalls funktionierte das Programm gut, zumal das veranstaltende Theater Baden-Baden die Aktivitäten der Kinder- und Jugendtheater auf ein Gelände konzentrieren konnte, der Cité, den ehemaligen Kasernen der Franzosen. Mensa, Workshop-, Diskussionsräume wie die Aufführungsstätte lagen nahe beieinander, ein Festival der kurzen Wege und der vielen Gespräche. Allerdings auch um den Preis, dass man fast unter sich blieb.

Während „Augenblickmal!“ kulturpolitische Impulse auszusenden versucht und den Mainstream wie der Teufel das Weihwasser meidet, gibt es für ein Arbeitstreffen eine solche Zentrierung nicht, erst recht nicht, wenn kein Kuratorium vorab ein ästhetisches Konzept vorzugeben versucht. Um es vorwegzunehmen: „Mainstream“ gab es in Baden-Baden dennoch nicht zu sehen, keine Produktionen, die sich der „Zerstreuung“ ihres Publikums andienen, sondern sich an den Lehrsatz von Brecht hielten: „Das Theater braucht keinen anderen Ausweis als den Spaß“. Und den Spaß, der sich mit dem Spaß am forschenden Lernen verbindet – auch auffällig: die Angst davor, „pädagogisch“ zu sein, ist verschwunden -, den gab es in Baden-Baden reichlich. „Nina und Paul“ von Thilo Reffert z.B., von Anne Wittmiß am JES Stuttgart inszeniert explodierte in der Werkstatt der Louis-Lepoix-Schule (Bühnenmaler und -plastiker) förmlich. Das Publikum saß mitten im Raum, der durch Drachenköpfe und andere Utensilien eine ganz eigene Atmosphäre ausstrahlte. Anna-Lena Hitzfeld und Sebastian Brummer schafften sich immer neue Wege bei der Erzählung ihrer Geschichte des Kennenlernens zweier junger Menschen in der Abschlussklasse der Grundschule durch das Publikum. Das vermittelte den hohen Reiz des Improvisatorischen, der sich gekonnt mit dem Komödiantischen verband und dennoch beim Publikum tiefe Emotionen auszulösen vermochte. Auch in dem Mobbingstück „Die Geschichte von Lena“ von Michael Ramlose und Kira Elhauge gelingt es Diana Wolf und Philipp Dürschmied ein komödiantisches Feuerwerk zu entfachen. Dabei verschwindet das ernste Thema keineswegs, sondern, indem sich Autoren und die Inszenierung von Anne Klöcker und Winfried Tobias am Theater Aalen in die Perspektive des Mädchens und ihren Erfahrungshorizont einlassen, bleibt auch der pädagogische Zeigefinger weitgehend unterdrückt, bzw. wird es in der dem Stück sofort folgenden theaterpädagogischen Aufbereitung erst wieder hervor geholt.

„Nina und Paul“ ist aus der Perspektive der beiden jungen  Menschen erzählt, man divergiert in der Erzählung leicht in den Fakten. Mit zwei „unzuverlässigen Erzählern“ ist es komplexer als „Lena“, wo nur eine Ansicht zur Anschauung kommt. Beide Stücke stehen in Gefahr, wenn die Figuren nicht in ihrem So-Sein ernstgenommen werden, dass diese verlacht werden. Trotz ihres hohen Spieltempos und der ausgeprägten Komödiantik, die sich in der Lust der Spielerinnen und Spieler zeigt, verwandelt sich in beiden Aufführungen  das befreite Lachen des Publikums nicht in Hohn über die Bedürfnisse der spielenden „Kinder“, sondern setzt sich empathisch um: das Publikum fühlt lachend und weinend mit. Das Spiel selbst wird zum triumphalen Markenzeichen und gerade, weil gespielt wird, braucht es keine dezidierte moralische Ausrichtung. Die starken Geschichten, die erzählt werden, müssen nicht in Handlungsanweisungen für das Publikum enden, sie stehen für sich. Und sie brauchen nicht einmal ein Bühnenbild, sie nutzen den Raum, wie er sich gerade anbietet. Natürlich lässt sich ein solches Spiel auch in einer Szene entwickeln, in der die Bühne geradezu zugemüllt ist, wie in „Zonka und Schlurch“ von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Ein schräges Stück, dass die Autoren zusammen mit der Jungen Württembergischen Landesbühne Esslingen innerhalb von „Nah dran!“ entwickelt haben. Erzählt wird die Geschichte von zwei aussortierten künstlichen Intelligenzen, die auf der Flucht vor den Menschen sich ganz tief in die Erde eingegraben haben und Maschinen basteln, die ihrer Intelligenz folgen sollen. Daniel Großkämpfer und Julian Häuser spielen das mit großer Lust und Komödiantik. Und dann landet doch noch ein Mensch bei ihnen, ein Schröder, den Sabine Christiane Dotzer mit wunderbarem Slapstick groß vorführt. Was Heinrich/Zipfel hier zeigen, erscheint auf den ersten Blick als bloße Blödelei, auch sprachlich in einem deformierten Hamburgisch, aber erzählt wird eine Hommage an die Freundschaft, jenseits aller moralischen Belehrungen, wenn durchaus auch jede Dreierkonstellation die Probe auf eine Freundschaft ist…

Erstaunliche Beobachtung ist, dass in dem Moment, wo der Prozess des Spielens durch Formalisierungen gebannt wird, pädagogische Anweisungen sich vordrängen. Am deutlichsten war das in „Miyu Unsahiro“ von Flo Staffelmayr, von Nora Bussenius am jungen theater heidelberg inszeniert, zu sehen. Eine Geschichte über Leistungsdruck von jungen Menschen, die, um diesen zu entkommen, sich in eine Computerspielwelt der großen Meister flüchten, bis es dann doch ein gutes Ende in der Wirklichkeit gibt. Also eine Geschichte, die durchaus vielen jungen Menschen hierzulande auf den Nägeln brennt. Aber Staffelmayr ist das zu nah, er greift daher auf den „Verfremdungseffekt“ zurück. Parabelhaft verlegt er die Handlung in ein Japanambiente, das Sebastian Ellrich sehr ästhetisch in Schwarz-Weiß-Kombinationen ausstattet. Bild wie die geschminkten Gesichter zitieren allerdings nur abstrahierende Momente, die eher dem Bereich des Mangas und des Anime zuzuordnen sind als dem No-Spiel. Das hat einen hohen formalen Reiz, paradoxerweise aber erweist sich in dieser Künstlichkeit nicht nur, wie schwach der Text ist, sondern auch wie holzhammerhaft pädagogisch. Trotz der Verfremdung sind Figuren und Handlung schnell durchschaubar, so dass Längen entstehen. Das ist schade für das Ensemble, dass diese fremdgemachte Welt lebendig machen soll und dabei doch als Objekte durch eine streng formalisiere Inszenierung geführt werden. Immerhin gelingt es den Spielern, Präsenz zu zeigen.

„Die Kuh Rosemarie“ von Andri Beyeler ist sprachlich ein präzis durchrhythmisiertes Stück. Was aber passiert, wenn es in Show-Ambiente verlegt wird, mit pinkem Licht, die literarische Sprache in Songs übersetzt wird oder gar eigene neu hinzugedichtet werden und zum Schluss hin aus moralischen Bedenken – die Afrikabilder seien zu klischeehaft, so das Team von der Jungen Bühne Ulm um deren Leiter Sven Wisser – der Text stark eingestrichen wird? Es gaukelt Unterhaltung vor und wirkt dabei wie ein pädagogisierendes Lehrstück. Dem Team zu Gute zu halten ist, dass es für diese Gruppe ein Experiment ist, vier Darstellerinnen und Darsteller arbeiten ohne Regisseur – was man merkt. Sie versuchen, basisdemokratisch eine Arbeitsgrundlage zu finden und handeln von Szene zu Szene Lösungen neu aus. So kann man dieses Experiment auch als „work in progress“ verstehen, wenn die Anregungen aus dem Aufführungsgespräch angenommen werden können, könnte es noch spannend werden.

Wie wichtig eine konsequente Regie für die Ausformung einer Ästhetik sein kann, zeigte Joerg Bitterich von der Jungen Badischen Landesbühne Bruchsal mit „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“ von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Mit nur drei Schauspielern und den Flachrequisiten von Kerstin Oelker entwickelt der Regisseur mit hohem Spieltempo eine comichafte Version dieses Stoffes, der davon erzählt, wie Maulina mit der neuen Situation, aus ihrem Paradies heraus genommen zu werden und zu begreifen, wie krank ihre Mutter ist, umgehen muss. Auch hier wird die Geschichte aus der Perspektive des Mädchens erzählt, ist ganz und gar auf ihren Erfahrungsraum beschränkt. So wird es möglich, dass das junge Publikum voll in die Geschichte eingesogen wird und unaufdringlich dem Lernprozess Maulinas als spielerischen Handlungen nachvollziehen kann. Mit hohem komödiantischem Einsatz erzählen Yasmin Vanessa Münter, Norhild Reinicke und Frederik Kienle diese Geschichte, die hier in die Nähe eines Comic-Strips kommt, der den Schwerpunkt auf die Aktionen legt und nicht auf die Entwicklungen von deren Motiven.

Nicht nur auf Grund seiner Zweisprachigkeit – Deutsch und Französisch – fällt „Die Geschichte von Petit Pierre“ auf, die Suzanne Lebeau nach einer wahren Biografie, die sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und seinen Weltkriegen verbindet, erzählt. Es ist die Geschichte eines missgestalteten Menschen, der als Behinderter abgestempelt, sich in seine eigene Welt zurückzieht, wobei am Ende ein großes Karussell entsteht. Der Text von Lebeau und die Inszenierung von Maxime Pacaud am Baal Novo Theater Eurodistrict Offenburg leiden unter der Schwierigkeit, dass Pierre sich selbst nicht artikuliert – man gewisser Weise nicht in ihn hinein sehen kann – sondern er allein in äußeren Aktionen erscheint. Dass die Aufführung Pierre in der Perspektive der Gesellschaft mit allen Vorurteilen der vergangenen Jahrzehnte gegen Behinderte aufzeigt und dazu noch Klischeebilder im Spiel erzeugt werden, stieß auf heftige Kritik und ließ vergessen, dass Horst Kiss und Jean-Michel Räber ein intensives Spiel mit Objekten entwickelten.

Wenn denn eindeutig der Schwerpunkt bei den Mitgliedsbühnen des AK auf den diesjährigen Baden-Württembergischen Theatertagen auf das Kindertheater lag und keine Parität von Produktionen für Jugendliche angestrebt wurde – wie in Berlin -, so entspricht das in etwa dem tatsächlichen Spielplangebot der Ensembles im Ländle: im Durchschnitt stehen drei Kinder-, ein bis zwei Jugendstücke gegenüber. Hinzu kommt, dass sich oft auch in den Abendspielplänen der Bühnen Angebote für Jugendliche verbergen. So konnte man vom Theater Pforzheim „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury sehen, eindeutig hin auf Jugendliche konzipiert oder auch die Rap-Oper „Der Fluch der Tantaliden“ vom Nationaltheater Mannheim war sehr auf die Rezeptionsgewohnheiten junger Menschen zugeschnitten. So gab es nur drei Jugendstücke durch Mitgliedsbühnen des AK zu sehen, alle drei als künstlerisches Experiment angekündigt. Was bei „Andorra“ von Max Frisch erstaunt. Am Jungen Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen/Reutlingen inszeniert Fanny Brunner ein Vorspiel, in dem nicht nur Max Frisch selbst auftritt, sondern eine Diskussion geführt wird, als ob diese Aufführung nicht für Jugendliche, sondern für ein Abonnentenpublikum gemacht sei. Das Vorspiel bricht ab und aus einer Dekonstruktion des Textes heraus entsteht ein formal betonte Produktion. Da die fünf Spielerinnen und Spieler ständig die Rollen wechseln, was eigentlich eine Verschärfung des politischen Inhalts bedeutet, weil jede und jeder Andri sein kann, werden dennoch zur besseren Orientierung Pappkameraden mit den Gesichtern der Mitwirkenden auf- und abgetragen. Sobald das Prinzip durchschaut ist, wird es langweilig, aber es wird bis zum Ende durchgezogen. Darüber hinaus werden Songs eingesetzt, die weniger die Handlungen kommentieren, sondern Atmosphäre erzeugen. Wie aber die Aufführung wirklich funktioniert, ist schwer zu beurteilen, wenn man in der 2. Loge ganz oben sitzt und doch spürt, dass da eine Inszenierung ist, die versucht, sich ganz nah am Publikum zu verorten.

Zu den Abithemen in Baden-Württemberg gehört „Der goldene Topf“ von E.T.A. Hoffmann, deshalb findet der Text sich auf vielen Spielplänen im Ländle. Das gastgebende Theater Baden-Baden zeigt die Geschichte des Anselmus in der Regie von Nicola May als eine, in der sich in zwei Welten bewegt wird. Der Student muss sich entscheiden, ob er in der Virtual Reality mit Serpentina leben oder in einer bürgerlichen Wirklichkeit mit Veronika sich einrichten möchte. Ein Teil der Zuschauer wird zunächst in einem Raum geführt, in dem ihnen eine Cyber-Brille aufgesetzt wird, mit der ein gezeichneten Video von Sebastian Ganz betrachtet werden kann, das die Vorgeschichte des Archivarius Lindhorst als Salamanderkönig erzählt. Dann wird das Publikum in ein vornehm (groß)bürgerliches Zimmer geführt, wo die Figuren in historischen Kostümen die (Männlichkeits)Rituale im Salon ausüben. Dabei wird immer wieder in einem zweiten fast kahlen Raum hin- und hergeswitscht, der mit Videos die virtuelle Welt andeutet. Das Publikum folgt den Spielern, aber, man kann auch aus dem einen Raum den anderen beobachten, so ganz lässt sich das Vorspiel nicht integrieren. Cyber bleibt Cyber und die alte Geschichte alt, aber man wird durch die Komödiantik der Spieler mitgerissen.

Und das „klassische“ Jugendtheater? Geschichten von jungen Menschen, die von den Erwachsenen allein in ihren Nöten gelassen werden, wo sexuelle Nöte und die Suche nach Identität die Welt so fremd erscheinen lassen, dass man am liebsten Amok laufen möchte? Nach dem Roman von Mikael Niemi hat Stefan Eberle am Jungen Theater Konstanz „Erschieß die Apfelsine“ in drei Abteilungen entwickelt, die scheiternde erste Liebe, das gewählte Anderssein und die Freundschaft zu Palle. Sein Hass auf die Welt macht ihn zum Lyriker, aber seine Mutter verbrennt die Gedichte… Auch hier wird konsequent aus der Perspektive des Jungen erzählt, zu dem das Publikum einen stark empathischen Zug entwickeln kann. Das ständige Zurückgestoßenwerden, überhaupt die Erfahrung der Enge lässt ihn nicht unterkriegen, sondern er rennt dagegen an. Am Ende dann, wenn Palle und er in der Schule einen Amoklauf planen, das Publikum erfährt, dass Palle Eltern und Hund umgebracht hat, überschlägt sich die Handlung in Volten. Mit einer Fülle von Einfällen, Musik und Videofilmen erzählt Eberle die Geschichte, so dass der kritische Betrachter manchmal das Gefühl hat: Da hat einer Angst, dass es dem Publikum langweilig werden könnte und haut atemlos die nächste szenische Idee drauf. Das ist schade, denn diese Inszenierung hat dann ihre Höhepunkte, wenn sie ihren Akteuren den Raum gibt durch zu atmen. Die Bilanz, die man aus dem Arbeitstreffen in Baden-Baden, ziehen könnte, ist: überall dort, wo alle Mittel auf das Spielen selbst konzentriert werden, entsteht ein wundervolles Theater, improvisatorisch, von der Liebe zum Publikum getragen, komödiantisch und frech und voller Empathie. Weil die Geschichten aus der Perspektive der handelnden Kinder und Jugendlichen erzählen werden, gibt es auch ein stärkeres Identifikationsangebot für die jungen Menschen und eines, das auf eine explizit formulierte moralische Anweisung verzichten kann, weil man den Erfahrungsprozess der Heldin, des Helden mit erfahren kann.

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